Bierkultur, Wissen
Ein halbes Jahrtausend Reinheitsgebot
Seit 500 Jahren im Einsatz
Am 23. April 1516 trat in Ingolstadt der bayerische Landständetag zusammen. Nach einem langwierigen Erbfolgekrieg ging es um die Wiedervereinigung der bayerischen Teilherzogtümer und eine Harmonisierung der Landrechte. Herzog Wilhelm IV., genannt der Standhafte, erwies seinem Namen alle Ehre und brachte seinen Erlass durch, der bis heute nachwirkt.
„Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gerste, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen.“
Das berühmte Reinheitsgebot war sicher nicht nur Wilhelms Hang zum Regulieren oder einer ausgiebigen Leidenschaft für den Gerstensaft geschuldet, sondern hatte mehrere Gründe. Zum einen durchaus gesundheitspolitische, aber vor allem wirtschaftliche Aspekte veranlassten den Fürsten, die Herstellung und den Verkauf von Bier bis ins Detail zu regeln.
Gut gegen schlechtes Bier
Die Brauvorschrift gilt als Reaktion auf die zahlreichen Klagen über schlechtes Bier. Es wurde gepanscht, verschnitten und verwässert. Ironischerweise war die in der Vorschrift ebenso geregelte Bierpreisfestlegung genau der Grund dafür: Um ihren Gewinn zu sichern, sparten viele Brauer eben an der Qualität. Denn die Maß durfte nicht mehr als 1 Pfennig kosten. Das waren Zeiten!
Jedenfalls durfte fortan nur noch Gerste, Hopfen und Wasser zum Bierbrauen verwendet werden – Hefe kannte man damals zwar schon, aber nicht deren genaue Wirkweise bei der alkoholischen Gärung. So wollte man nicht nur Verfälschungen ausschließen, sondern auch gesundheitsschädliche Stoffe. Bisher wurden allerlei abenteuerliche Kräuter zum Würzen verwendet und manche davon waren sogar ausgesprochen giftig oder hochgradig psychoaktiv, wie zum Beispiel Ochsengalle, Wacholder, Efeu, Rosmarin, Stechapfel, Enzian, Johanniskraut, Fichtenspäne und Bilsenkraut und viele Absonderlichkeiten mehr. Aus diesem Grund kann man das Reinheitsgebot durchaus auch als erstes Drogengesetz interpretieren. Es galt, die alten heidnische Ritualpflanzen mit ihren berauschenden Wirkungen wie Sumpfporst, Tollkirsche, Schlafmohn, Muskatnuss und Wermut zu unterbinden und stattdessen den beruhigenden Hopfen einzusetzen.
Ökonomisch von Vorteil
Neben all seiner Besorgnis über den Gesundheitszustand seiner Landsleute waren es aber auch knallharte volkswirtschaftliche Erwägungen, die Wilhelm IV. zu seinem Edikt bewogen: Der wertvollere Weizen oder Roggen war ein für alle Mal den Bäckern vorenthalten. So konnte die Lebensmittelversorgung einigermaßen sichergestellt und kostspielige Auseinandersetzungen darüber vermieden werden.
Nicht zuletzt bescherte der Erlass aber auch einen gewissen Wettbewerbsvorteil der bayerischen Brauereien gegenüber der rheinischen und norddeutschen Konkurrenz. Denn die setzten zu dieser Zeit dem Bier noch vorwiegend Gagel und andere Kräuter zu, die in Bayern schlicht nicht wuchsen. Die Besinnung auf das Ursprüngliche, Authentische als Alleinstellungsmerkmal. Ganz schön modern.
Und Weißbier?
1548 erhielt der Freiherr von Degenberg im Gegenzug seiner unumstößlichen Treue zu Herzog Wilhelm IV. und einer hübschen jährlichen Summe das schöne Privileg, nördlich der Donau Weizenbier zu brauen. Und das, obwohl Weizen ja gar nicht zulässig, aber Weißbier eben schon damals sehr beliebt war. Als das Geschlecht der Herren von Degenberg ausstarb, fiel bereits 1602 das Privileg an den Herzog Maximilian I. zurück. Der ließ sich nicht lange lumpen und errichtete gleich mehrere Weißbierbrauhäuser. Und somit auch das überaus einträgliche Weißbiermonopol der bayerischen Landesherren.
Bis heute ein Vorbild
Der Erfolg des Reinheitsgebotes sicherte nicht nur die Erlöse der bayerischen Brauer, sondern auch der Staatskasse. Kein Wunder, dass nach Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 sich auch andere Länder davon inspirieren ließen und das Reinheitsgebot mehr oder weniger übernommen haben. Schließlich war es ab 1906 im gesamten Reichsgebiet geltendes Gesetz.
Heute gilt das Reinheitsgebot als das älteste Lebensmittelgesetz der Welt und es ist immer noch bindend für alle in Deutschland gebrauten Biere.
Daran konnte auch der Europäische Gerichtshof mit seinem Urteil im Jahr 1987 nichts anhaben.
Die befürchtete Überschwemmung durch ausländische Biere blieb freilich aus. Aber die Machtübernahmen deutscher Brauereien durch internationale Großkonzerne spürt man bis heute.