Wildshuter Feldgespräche über den Geist der Zeit

„Zeit ist Geld – Erfolgsfaktor oder Trugschluss?“

Die von Stiegl initiierte Gesprächsreihe „Wildshuter Feldgespräche“, ging dieser Tage in die dritte Runde. Auch diesmal fanden sich wieder kompetente Gäste an einem Tisch zusammen und versuchten den Zeitgeist ein Stück weit einzufangen.

Wissenschaftler Thomas Herdin, Vorstandsvorsitzender der Schoellerbank Franz Witt-Dörring, Zeitmanagementprofi Paul Lürzer, „Slow-Brewing“-Gründer August Gresser und Stiegl-Chefbraumeister Christian Pöpper diskutierten gemeinsam über das „Luxusgut Zeit“: Wie wirkt sich Zeit auf unser Leben aus? Ist Zeit wirklich Geld? Und haben wir verlernt, uns Zeit zu nehmen?

Das Leben wird immer schneller. Dauerstress und das Gefühl, einfach keine Zeit zu haben, sind die Konsequenzen. Wie viele Menschen heutzutage darunter leiden, weiß Zeitmanagement-Profi Paul Lürzer. Die Teilnehmerlisten seiner Seminare für ein besseres Zeitmanagement sind voll. Lürzer hat für das Phänomen des gefühlten Zeitdrucks sogar ein eigenes Wort kreiert: „Ich nenne das den UHRschrei, der sich aus heutiger Zeitmanagement-Sicht wie ein Hilferuf anhört. Wir leben in einer Zeit der Beschleunigung. Alles und jeder ist in Hektik und es gibt kaum jemanden, der noch Zeit hat. Wir haben verlernt, uns Zeit zu nehmen.“

v.l.n.r.: Zeitmanagement-Trainer Paul Lürzer Msc., Stiegl-Chefbraumeister Christian Pöpperl, Vorstandsvorsitzender der Schoellerbank Mag. Franz Witt-Dörring, Mag. Dr. Thomas Herdin vom „Verein zur Verzögerung der Zeit“ und „Slow Brewing“ Gründer Dr. August Gresser / © Neumayr/Leo

„Der UHRschrei als Hilferuf in einer Zeit der Beschleunigung“

Lürzer verweist auf die alten Griechen, die für die Zeit noch zwei Begrifflichkeiten hatten: Chairos und Chronos. Erstere stand für ihre Qualität, zweitere ihre Messbarkeit. „Wir können die Zeit mit modernen Chronografen bis in Tausendstelsekunden bestimmen, allerdings ist uns die Qualität der Zeit verloren gegangen.“ Er plädiert daher für bewusste Entschleunigung und Werteorientierung. Für „Quality-Time“. Sich Zeit zu nehmen für Freunde und Familie, die man andernfalls vielleicht vernachlässigt.

Ist Zeit wirklich Geld?

„Zeit ist Geld“ bedeutet im heutigen Sprachgebrauch, dass alles Geld kostet, was Zeit in Anspruch nimmt. Daher fühlt man sich verpflichtet, jede freie Minute sinnvoll zu nützen. Der Vorstandsvorsitzende der Schoellerbank, Franz Witt-Dörring, orientiert sich allerdings an der Auffassung der Antike, die besagt, dass Zeit an sich ein kostbares Gut ist. Seiner Meinung nach ist eine nachhaltige Wertschöpfung erst dann möglich, wenn eine Investition genügend Zeit hat, sich zu entwickeln. „Wer also ein Vermögen erhalten oder aufbauen will, kommt an langfristen Aktieninvestments nicht vorbei“.

„Slow“ als Erfolgsfaktor

Dass „langsam“ ein Erfolgsfaktor sein kann, zeigt sich auch bei Bier. „Wir sind davon überzeugt, dass man schmecken und spüren kann, ob ein Produkt die nötige Zeit bekommen hat, die es braucht“, meint August Gresser, Gründer und Geschäftsführer von „Slow Brewing“. Gresser weiß, dass sich das Brauen mit Zeit sowohl auf den Geschmack als auch auf die Verträglichkeit des Bieres auswirkt. Bei einer langsamen Reifung entstehen weniger schlecht verträgliche Fusel-Alkohole als bei beschleunigten Verfahren, wie sie oft in der industriellen Massenproduktion zum Einsatz kommen. Das Slow-Brewing-Gütesiegel ist der Wegweiser zu echter Bierqualität, da sowohl Qualität als auch Geschmack und das bewusste sowie faire Handeln einer Brauerei bewertet und ausgezeichnet wird. Insofern stellt das Gütesiegel auch fest, ob dem Bier genügend Zeit zugekommen ist.

© Neumayr/Leo

So viel Zeit muss sein

„Heutzutage haben die Menschen manchmal das Gefühl, dass die Zeit an ihnen vorbeizieht. Dass die Zeit für all die Dinge, die ihnen wichtig sind, einfach nicht reicht. Wo ist die Zeit geblieben, in der man noch Zeit hatte? Nun, sie war niemals weg. Wir alle haben nur ein wenig verlernt, sie zum Glücklichsein zu nutzen.“ Mit seiner neuen Kampagne „So viel Zeit muss sein“ will Stiegl ein Bewusstsein für die wichtigen Dinge schaffen. Die Menschen daran erinnern, sich wieder einmal Zeit zu nehmen für das, was das Leben lebenswert macht. Sich Zeit zu nehmen gehört zur Philosophie von Stiegl. „Wir setzen auf langsame Gärung und schonende Reifung statt auf schnelle Brauverfahren. Deshalb wurden wird auch mit dem Slow-Brewing-Gütesiegel ausgezeichnet“, erzählt der Stiegl-Chefbraumeister Christian Pöpperl. Gleich wie das Bier bekommen bei Stiegl auch die Zutaten die Zeit, die ihnen zusteht. So werden in der eigenen Bio-Landwirtschaft am Gut Wildshut beinahe in Vergessenheit geratene Urgetreidesorten kultiviert. Gebraut wird daraus eine besondere Bierspezialität: Das Wildshuter Sortenspiel.

Die Verzögerung der Zeit

Der „Verein zur Verzögerung der Zeit“ will etwas anstoßen. Ein wenig provozieren. Zum Innehalten veranlassen. Vor allem aber will er einen Diskurs schaffen. Es ist das, an einer Universität gegründete, wohl umfangreichste Netzwerk von Zeit-Experten im deutschsprachigen Raum. Den Mitgliedern geht es um einen neuen,gesünderen, menschlichen Umgang mit Zeit in allen Bereichen. „Wir können nur in einem langen Prozess alte Denkmuster ablegen und neue Zeit-Auffassungen lernen“,erklärt Wissenschaftler und Vereinsmitglied Thomas Herdin. Voraussetzung dabei ist, dass die Menschen wieder selbst die Regie über ihre Zeit übernehmen und so Wege zur Entschleunigung finden.

Ob Banker oder Bierbrauer, Zeitmanager oder Wissenschaftler, sie alle sind sich einig: Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt.